Das Experiment war bahnbrechend!
Und das Ergebnis eine Ohrfeige für die gesamte Branche!
Außerdem ein eindringliches Plädoyer dafür, Erfahrungen äußerst kritisch zu betrachten und sehr wachsam zu sein, wenn wir Menschen, Dinge oder Situationen in Schubladen stecken.
Was war passiert?
Der Psychologe David Rosenhan schleuste acht kerngesunde Menschen in verschiedene psychiatrische Einrichtungen ein, um zu überprüfen, ob sie von den Mitarbeitern dort erkannt werden.
Das Ergebnis?
Die Pseudo-Patienten verbrachten durchschnittlich 19 Tage in den psychiatrischen Einrichtungen, bevor sie entlassen wurden. Ein Teilnehmer blieb sogar ganze 52 Tage in „Behandlung“.
Es wurden also selbst gesunde Personen als krank behandelt, sobald sie in die Schublade „krank“ gesteckt wurden.
Was die gesunden Teilnehmer auch taten oder sagten, wurde immer im Kontext ihrer vermeintlichen Krankheit interpretiert. Besonders bemerkenswert war, dass die falschen Patienten viel eher von anderen Patienten als vom medizinischen Personal erkannt wurden.
Das Rosenhan-Experiment verdeutlicht die Problematik, dass wir Menschen dazu neigen, das zu sehen, was wir sehen wollen und was unsere Überzeugungen und Erfahrungen bestätigt.
Stimmt das Geschehen mit den vorgefassten Meinungen überein, fühlt sich der Homo sapiens bestätigt, den Rest blendet er aus.
Der Effekt?
Je mehr wir glauben, desto weniger hinterfragen wir. Und desto weniger wissen wir.
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In meinen Vorträgen nenne ich das Dogmen und blinde Überzeugungen. Anders als der Experte denkt, sind sie kein Weitwinkelobjektiv, sondern Scheuklappen.
Die nicht-augenärztlichen Begriffe lauten: Betriebsblindheit und Branchenblindheit.
Je intensiver man sich mit einem Gebiet beschäftigt, je länger man darin arbeitet und je erfolgreicher man darin ist, desto schwieriger kann es werden, neue Muster, neue Perspektiven, neue Möglichkeiten zu erkennen.
Diejenigen, die die meiste Erfahrung, das meiste Wissen und die meisten Ressourcen haben, sind oft die letzten, die Chancen für etwas völlig Neues ergreifen.
Das einzige Heilmittel dagegen ist eine konsequente ketzerische Grundhaltung.
In Anlehnung an den „Faktenfinder“ von Stefano Mastrogiacomo hier vier Vorschläge, um Dogmen und blinde Überzeugungen zu erkennen und eventuelle Scheuklappen durch ein Weitwinkelobjektiv zu ersetzen:
1) Identifiziere Vermutungen
Also zum Beispiel:
- Wenn ich mir den anschaue, der ist doch nicht ganz klar im Kopf
- Dem Schmidt geht es nur um seine eigene Karriere.
- Die werden sich unser Angebot nie leisten können.
- KI/ Crypto/ Blockchain/ Metaverse … ist das nächste große Ding.
Attackiere Vermutungen
Mit Fragen wie:
- Woher wissen wir das?
- Welche Beweise gibt es dafür?
- Können wir das mit Fakten belegen?
2) Identifiziere Verallgemeinerungen
Sehr leicht zu erkennen an Schlüsselworten wie „immer“, „nie“, „alle“, „niemand“ usw. Zum Beispiel:
- Immer, wenn wir unser Angebot verbessern, zieht der Wettbewerb nach.
- Jeder weiß, dass es verdammt schwer ist, gute Leute zu halten.
- In Deutschland kann man einfach nicht so mutig/ innovativ / risikobereit / … wie in den USA sein.
- Niemand der solche Tattoos hat, kann eine vernünftige Führungskraft sein.
Attackiere Verallgemeinerungen
Ziemlich einfach, indem man genau diese Schlüsselworte hinterfragt. Also zum Beispiel:
- Wirklich immer?
- Tatsächlich jeder?
- Ausnahmslos alle?
- …
3) Identifiziere Beschränkungen
Also Aussagen, denen Zwänge, Limitierungen, imaginäre Einschränkungen und Verpflichtungen zugrunde liegen und die Möglichkeiten einschränken. Zum Beispiel:
- Wir haben nicht die Zeit, jeden eingelieferten Patienten genau zu untersuchen.
- Wir können das Projekt jetzt nicht starten, das Budget reicht einfach nicht.
- Das hat vor sieben Jahren schon mal jemand versucht. Ging voll in die Hose.
- Mit einer Handvoll Leute kann man so ein Event nicht stemmen.
Attackiere Beschränkungen
Das Schlüsselwort ist hier „trotz“. Es geht darum, wie man Dinge trotz – oft imaginärer – Einschränkungen voranbringen kann. Zum Beispiel:
- Wie können wir trotz der knappen Zeit wesentliche Untersuchungen bei eingelieferten Patienten durchführen?
- Wie können wir trotz des geringen Budgets das Projekt jetzt starten?
- Was genau können wir aus dem, was vor sieben Jahren schief ging, lernen und trotzdem und besser machen?
- Wie können wir die Veranstaltung mit so wenigen Leuten trotzdem organisieren und durchführen? Was können wir weglassen und wo könnten wir Unterstützung bekommen?
4) Identifiziere Urteile
Das sind alle subjektiven Bewertungen einer Sache, einer Situation oder einer Person. Zum Beispiel:
- Niemand wird in der Lage sein, einen Staubsauger ohne Beutel herzustellen.
- Die Branche ist nun einmal konservativ.
- Die besten Führungskräfte kommen aus der Heimat und haben Stallgeruch.
- Wer im Homeoffice / in Teilzeit arbeitet, ist nicht wirklich engagiert. Da ist der Fokus halt woanders.
Attackiere Urteile
Da meist wichtige Informationen fehlen, um beurteilen zu können, ob solche Aussagen stimmen oder nicht, sollte man sich auf die Suche nach Fakten machen. Also zum Beispiel:
- Woher wissen wir eigentlich, dass…?
- Können wir uns sicher sein, dass…?
- Welche Fakten untermauern, dass …
- Was ist eigentlich schlecht an…
Wie du siehst und wie das Rosenhan Experiment beweist, lohnt es sich, öfter mal ein Ketzer zu sein. Scheinbar unumstößliche Dogmen und Überzeugungen öfter mal zu hinterfragen. Und sich öfter einzugestehen, dass Erfahrung kein Weitwinkelobjektiv, sondern Scheuklappen sind. Eine humpelnde Herde altersschwacher heiliger Kühe.
Oder wie Alan Alda es ausgedrückt hat:
„Deine Überzeugungen sind die Fenster, durch die du die Welt siehst. Du musst sie von von Zeit zu Zeit abwischen, damit das Licht reinkommt.“
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Als PS ein augenöffnender Tipp
Schreibe die Wörter „Vermutungen“, „Verallgemeinerungen“, „Beschränkungen“ und „Urteile“ auf ein Blatt Papier. Beim nächsten Meeeting machst du immer einen Strich hinter jedes dieser Wörter, wenn du es identifizierst. Ich wette, du wirst überrascht sein!
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