Kannst du mit deinen Gedanken das Verhalten anderer beeinflussen?

Es ist mitten in der Nacht.

Das Labor wird schwach von Neonlicht erhellt.

Professor Bob Rosenthal schleicht sich zu den Rattenkäfigen in seinem Forschungslabor und hängt an jeden Käfig ein Schild. Auf manchen Schildern steht, dass die Ratte im Käfig unglaublich intelligent ist, auf anderen, dass die Ratte im Käfig unglaublich dumm ist.

In Wirklichkeit stimmt weder das eine noch das andere. Es sind ganz normale Ratten, und Bob Rosenthal verteilt die Schilder nach dem Zufallsprinzip.

Am nächsten Morgen teilt er jedem seiner Forschungsassistenten eine Ratte zu und gibt ihnen folgende Aufgabe: Führe deine Ratte, die entweder sehr intelligent oder sehr dumm ist, in der kommenden Woche durch ein Labyrinth und zeichne auf, wie gut sie sich dabei schlägt.

Das Ergebnis?
Dramatisch.
Unglaublich.

Die vermeintlich intelligenten Ratten kommen fast doppelt so schnell durch das Labyrinth wie die vermeintlich dummen, obwohl es sich um dieselben Laborratten handelt und das Etikett „intelligent“ oder „dumm“ nur zufällig vergeben wurde.

Der Rosenthal-Effekt: ein Lehrstück über Erwartungen

„Ich hatte Schwierigkeiten, das alles zu veröffentlichen“, sagt Professor Bob Rosenthal. Zuerst glaubte ihm niemand, bis er herausfand, dass die Erwartungen, die seine Forschungsassistenten in ihren Köpfen hatten, tatsächlich zu einer Reihe winziger Verhaltensänderungen führten.

Ihre Erwartungen veränderten auf subtile Weise, wie sie die Ratten berührten und mit ihnen umgingen, und damit auch das Verhalten der Ratten. Wenn die Forschungsassistenten glaubten, dass die Ratte wirklich intelligent sei, verhielten sie sich ihr gegenüber herzlicher, berührten sie vorsichtiger und waren nachsichtiger.

Es sind also Zuneigung, Erwartung und Vertrauen, die einen großen Unterschied machen. Wenn ich glaube, dass die Ratte intelligent ist, verhalte ich mich anders.

Der sogenannte Rosenthal-Effekt ist ein Lehrstück über Erwartungshaltung und ein hervorragender Ratgeber für jede Führungskraft.

Sechs Gedanken von mir, was das für dich als Führungskraft bedeutet. Und wenn du keine Führungskraft bist, dann kannst du die gleichen Empfehlungen berücksichtigen, wenn du Kinder erziehst oder auf andere Weise die Zusammenarbeit von Menschen organisierst:

1. Achte auf deine Wahrnehmung

Da deine Erwartungen einen so großen Einfluss auf andere haben, solltest du dir darüber im Klaren sein, was deine Erwartungen auslösen. Wer hat die „Schilder an den Rattenkäfigen“ beschriftet? Warst du es selbst? Waren es andere? Glaubst du, was du da liest? Warum glaubst du es? Oder warum glaubst du es nicht?

2. Vergiss alle Stereotypen

Wenn du Menschen führst, befreie dich von allen kulturellen, geschlechtsspezifischen, altersbedingten oder anderen Stereotypen, die du in Bezug auf deine Mitarbeiter haben könntest. Gehe davon aus, dass Menschen mit der richtigen Unterstützung fast alles erreichen können.

3. Fange bei Null an

Wenn Teammitglieder einen negativen Ruf haben, sei es in Bezug auf ihre Arbeitsleistung oder ihr Verhalten, wirf diese Vorurteile auf den Müllhaufen der Geschichte. Gib Menschen eine zweite Chance.

4. Identifiziere positive Eigenschaften

Suche gezielt nach Talenten und Stärken, die vielleicht noch verborgen sind. Suche nach Bereichen, in denen du bei anderen die größten Entwicklungsmöglichkeiten siehst. Sprich mit den Menschen darüber und lass sie wissen, wozu sie deiner Meinung nach fähig sind. Das allein kann Menschen dazu ermutigen, ihr Bestes zu geben, weil sie glauben, dass sie es können.

5. Lege die Messlatte hoch

Menschen entwickeln sich am besten, wenn man sie herausfordert und gleichzeitig ermutigt. Betone, dass du von ihnen überzeugt bist und dass sie auch diese Aufgabe mit Bravour meistern werden. Wenn Menschen spüren, dass man ihnen etwas zutraut, wachsen sie an ihren Aufgaben. Wie schon der preußische Staatsmann und Reformer Freiherr vom Stein sagte: „Zutrauen veredelt den Menschen, ewige Vormundschaft hindert sein Reifen.“

6. Zeige Wertschätzung

Lass die Menschen wissen, dass du an sie glaubst. Sprich bewusst über die Leistungen, die sie erbracht haben. Über Stärken, die sie gezeigt haben. Über Talente, die sie eingesetzt haben. Über den Unterschied, den sie gemacht haben. Wer Wertschätzung erfährt und spürt, dass andere an ihn glauben, wächst über sich hinaus.

Menschen aufrichten, nicht unterrichten

In Anlehnung an den Rosenthal-Effekt kann man also sagen: Die eigentliche Aufgabe von Führung ist es, Menschen aufzurichten. Menschen zu ermutigen, ihr Potenzial auszuschöpfen und ihren Weg zu gehen.

Der Fußballtrainer Arsène Wenger hat es so zusammengefasst:

„Alle großen Erfolge, alle gelungenen Leben, beinhalten das Zusammentreffen von Einsatz und Talent. Aber ebenso das Glück, Menschen getroffen zu haben, die an dich glaubten. Irgendwann in deinem Leben brauchst du jemanden, der dir auf die Schulter klopft und sagt: Ich glaube an dich.“

Das ist mein Wunsch und meine Überzeugung:
Wir sollten uns gegenseitig aufrichten.
Uns gegenseitig ermutigen, unser Potenzial auszuschöpfen und unseren Weg zu gehen.

Und das nicht nur, weil es bei den Ratten von Bob Rosenthal funktioniert hat.


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