Vuja de: Die Zukunft mit neuen Augen sehen

Endlose Kurven. Formen, an denen ich mich nicht satt sehen kann. Innen wie außen. Wie ein futuristisches Raumschiff ragt es auf. Gleichzeitig fügt es sich organisch in den umliegenden Park ein. Integriert harmonisch Baudenkmäler aus der langen Geschichte der Stadt.

Nach einem Vortrag bei der Verleihung des KGCCI-Innovation Awards in Seoul im vergangenen November verbrachte ich viele Stunden vor und im Design Center im Dongdaemun Design Plaza. Schwer beeindruckt von der Wirkung, die die über 40.000 unterschiedlich gekrümmten Aluminiumplatten der Außenhülle erzeugen. Von diesen mit dem Licht spielenden Schwüngen, die so typisch für die leider 2016 verstorbene Architektin Zaha Hadid sind.

Eine Frau mit einem echten Rebel Mind, die mit ihren Bauten immer wieder die Grenzen des bis dahin Denkbaren überschritten hat. Eine Frau, die Beton schweben, Stahl mäandern und Glas schmelzen lässt – zumindest sehen ihre Gebäude so aus.

Moderne Architektur fasziniert mich. Wer schon einmal gebaut hat, weiß um die Macht der Regeln, der Bauvorschriften, der Genehmigungen und Genehmigungsverfahren, des ganzen Normen-DIN-das-geht-nicht-das-muss-so-sein-Baunormen-Klotzes, der Kreativität und Ideen ausbremst.

Wenn ich hingegen architektonische Gesamtkunstwerke wie das Dongdaemun Design Plaza sehe, dann baut mich das auf, denn der beeindruckende Anblick ist eine einzige Manifestation eines rebellischen A-N-D-E-R-S! Wir können Bremsklötze aus Regeln, Normen und Überzeugungen loswerden. Wir können die sein, die Dinge anders sehen …

Der Blick der coolen Socke

Die Dinge anders sehen, das tut auch Norman Foster. Bekannt für seine fortschrittlichen technologischen Ansätze, seine Fokussierung auf Nachhaltigkeit und seine ästhetisch ansprechenden Designs. Außerdem ist der von der Queen zum Ritter geschlagene und mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Stararchitekt ist eine ziemlich coole Socke. Auf seinem Instagram-Account seht ihr ihn zum Beispiel geschniegelt und ganz gentlemanlike vor den Vereinten Nationen in New York sprechen. Oder wie er lässig in Sneakern aktuelle Gebäude skizziert. Oder mit dem Rennrad in den Schweizer Alpen unterwegs ist … immerhin ist Foster 88 Jahre alt.

Großartig finde ich aber auch die Doku „How Much Does Your Building Weigh, Mr. Foster?“. In diesem Film sagt er einen Satz, der mich jedes Mal aufs Neue elektrisiert:

„Everything inspires me. Sometimes I think I see things others don’t.“
„… Manchmal sehe ich Dinge, die andere nicht sehen.“

Und damit spricht er genau die Fähigkeit an, die wir in unserer Welt so dringend brauchen, um etwas voranzubringen, um an der Zukunft zu bauen. Ein Satz, der mindestens genauso berühmt sein sollte, wie der Apple Slogan „Think different“. Denn wenn ihr es schafft, anders zu denken, ist das zwar enorm wichtig, aber nur der erste Schritt, um wirklich innovativ zu sein.

Neben dem Anders-D-E-N-K-E-N ist auch ein Anders-S-E-H-E-N notwendig, um revolutionär neue Ideen oder Produkte zu entwickeln.

Rebels machen genau das: Sie schauen auf das Gleiche wie alle anderen Menschen – und doch sehen sie die Welt mit anderen Augen. Sie sehen etwas, was die anderen nicht sehen. Sie sehen Chancen und Möglichkeiten, die andere nicht erkennen.

Rebel Mind ist also Geisteshaltung, die neben dem Können, um die Ecke zu denken, auch die Fähigkeit beinhaltet, sich aus der Umklammerung des Vertrauten zu befreien und die Dinge auf eine ganz neue Art zu betrachten.

Während alle anderen die Lebensbauamts-Ordnungs-Normen-Regel-Brille auf ihrer Nase haben – und so blind für Chancen und andere Ideen bleiben: Entdecken Rebels neue Wege und Möglichkeiten, die bislang keiner gesehen hat.

Déjà vu war gestern …

Sicherlich wisst ihr, was ein Déjà vu ist – und habt vielleicht auch schon eines erlebt, also eine Situation, in der ihr etwas zum ersten Mal erlebt – aber das komische Gefühl habt: Hey, das kenne ich doch! Moment mal, hier war ich doch schon mal! Das habe ich doch schon einmal gehört, gesagt, gesehen, erlebt … Die Gegenwart als Erinnerung an die Vergangenheit. 

Das Gegenteil eines Déjà vu-Erlebnisses wird als Vuja de bezeichnet. Ein V-U-J-A-D-E habt ihr, wenn ihr bei etwas, was ihr schon zigmal gesehen habt, es sich aber so anfühlt, als sei es das erste Mal. So eine Art Klaus-Lage-plötzlich-ist-alles-anderes-Zoom-Moment.

Ich möchte euch dazu anstiften, es mehr auf solche Vuja des anzulegen. Um euch aus dem viel zu starken Griff der Vergangenheit und der Erinnerungen zu lösen.

Denn ihr könnt solche Momente des Vuja de erzeugen, indem ihr an eurer Fähigkeit arbeitet, Dinge unvoreingenommen zu sehen: also das Anderssehen kultiviert.

Vuja de bedeutet dann für euch, die eigene Branche, das eigene Unternehmen oder den eigenen Job, den eigenen Partner, das eigene Leben mit einem frischen Blick zu betrachten. So, als ob ihr gerade frisch im Unternehmen, in eurem Job angefangen hättet … Als hättet ihr euch gerade frisch auf den zweiten Blick in euren Partner verliebt … Z-O-O-M!

In Zukunft anders sehen

Wie ihr so einen unvoreingenommenen Blick kultivieren könnt, beschreibt Stanford Professor Robert Sutton in seinem sehr lesenswerten Buch mit dem Titel „Stellen Sie Leute ein, die Sie eigentlich gar nicht brauchen“.

Hier zwei Empfehlungen, die mir besonders gut gefallen haben, um die Frequenz von Vuja de in euren Organisationen zu erhöhen …

Um in Zukunft die Zukunft anders zu sehen … braucht ihr mehr Leute in eurem Umfeld, in euren Unternehmen, die sich die Regeln, die Normalität, die bei euch herrscht, den Bei-uns-läuft-das-so-Firmenkodex nicht so eifrig aneignen: Also stellt in eurem Unternehmen mehr Leute ein, die NICHT schnell lernen, Aufgaben auf die „richtige“ Art und Weise zu erledigen. Menschen, die frische Perspektiven mitbringen und sich den Luxus einer eigenen Meinung leisten – Menschen, die sich ihr Rebel Mind nicht so schnell austreiben lassen.

Um im Gewöhnlichen das Außergewöhnliche zu entdecken … um Dinge zu sehen, die andere nicht sehen, kultiviert zum Beispiel das „umgekehrte Mentoring“. Nicht die altgediente Führungskraft unterstützt den jungen oder neuen Mitarbeiter, nicht ihr als erfahrene Führungskräfte oder Mitarbeiter gebt den Newbies euer Wissen und eure Erfahrungen weiter. Sondern umgekehrt: Die Neuen unterrichten – und die Alten hören zu.

Was ihr bei einem solchen Rollentausch erleben und erfahren könnt, kann manchmal schockierend sein. Lauter Aber-der-Kaiser-ist-ja-nackt-Augenblicke. Wenn die ungewohnte Perspektive schlagartig die eigene Betriebsblindheit deutlich macht.

Entscheidend ist also, etwas auszuprobieren, das euch die Möglichkeit gibt, das Vertraute mit neuen Augen zu sehen. Damit ihr Chancen und Möglichkeiten erkennt, die andere schlichtweg übersehen.

So wie ein guter Architekt dort, wo andere nur kahle Wände sehen, eine Leinwand für seine kreativen Visionen erkennt.

Ich verspreche euch: Inspiration lauert überall – man muss nur die Augen öffnen! Und wo andere nichts als banale Dinge sehen, lässt sich ein Feuerwerk der Möglichkeiten entdecken. Ob ein zufälliges Gespräch, ein zerknittertes Blatt Papier – alles kann zum Katalysator für neue Ideen werden.

Mit dem wachen Blick des Vuja de könnt ihr Welten entdecken, die anderen verborgen bleiben.

Probiert es doch mal aus!

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